Dienstag, 27. September 2011

bekenntnisse aus dem zwischenreich

In das bezugssystem von sich-einen-namen-machen und einen-platz-in-der-welt-haben konnte ich mich in den letzten wochen nicht eintragen. ein versteckspiel war notwendig, um meine finanzielle existenz nicht zu gefährden. man könnte es als ein spiel betrachten, was mir nicht gelingen will, da ich als spiel nur ansehen kann, was auch einen gewissen anreiz und spaß mit sich bringt. dieses spiel war diktiert von bedingungen eines freiberuflichen, das mich zurzeit noch in lohn und brot setzt. ein diktiertes spiel ist keins, wie eine kindheit, in der einem verboten wurde, kind zu sein, keine ist. kind und spiel gehören zusammen. die lust am spielen ist eine lust, kindlich zu sein. die lust zu diktieren ist die kindische lust eines kindes, das alles bestimmen möchte. von daher kann man die gegebenheiten, in denen ich in den letzten wochen lebte, als kindische bezeichnen. über das kindische zu schreiben ist nicht sonderlich reizvoll. aber darüber nachzudenken - soweit seine diktate einem die zeit dazu lassen - dafür um so mehr. ich denke, hier eröffnet sich ein bezugssystem, das auch,
lieber beam,
deine letzten posts betrifft. ich war so seltsam unberührt von deinem vorletzten post (coup de gueule). Sicherlich sind die bekenntnisse gegen rassismus und diskriminierung unterstützenswert. wer von einigermaßen verstand würde sie nicht unterschreiben? ich unterschreibe sie voll und ganz. und dennoch blieb ich unberührt, bzw. verursachten sie bei mir ein achselzucken: ja, klar, sehe ich auch so. es ist schon schlimm in der welt und es muss sich was ändern, aber was kommt heute abend an der glotze. der amerikanische philosoph william james definierte den begriff "wichtig" ungefähr so: wichtig ist dajenige, was einen weiter bringt, d.h. was eine veränderung nach vorne schafft. das bekenntnis zu einer besseren ethik (oder überhaupt einer ethik, da es fraglich ist, ob rassisten eine ethik haben. sie haben ein bekenntnis ohne jeden wirklichen bezug und eine ethik verlangt einen bezug, nämlich einen anerkennenden zu meinem gegenüber. erkenne ich mein gegenüber nicht als ein solches an, habe ich auch keinen bezug zu ihm, bin ich folglich unfähig zur ethik), also nochmal, das bekenntnis zu einer ethik liefert meiner ansicht nach keinen push zur veränderung. weder im privaten noch im öffentlichen raum. es ist der wille zum spiel ohne spielen zu wollen. oder wie es roland barthes einmal ausdrückte, es ist der wille zur liebe, ohne die konsequenzen der liebe akzeptieren zu wollen.
lieber beam,
wie anders fand ich den folgenden post (terminus). auch er ein bekenntnis. aber nicht das solitäre bekenntnis zu etwas, sondern das bekenntnis eines eigenen - ja, eines eigenen was? was es war, konnte ich dem post nicht entnehmen, sondern einem privaten gespräch mit dir, das hier natürlich ausgeblendet bleiben muss. aber das bekenntnis darin lässt sich ungefähr so fassen: die eigene wahrheit zu finden und sie ans tageslicht zu bringen, um endlich damit leben zu können. in anderen worten: das kindische ins kindliche verwandeln zu können. die verleugnung der wahrheit war eine diktatur, wie die verleugnung der wahrheit des anderen eine diktatur ist, nämlich die des rassimus und der diskriminierung. das bekenntnis zur eigenen wahrheit bedeutet gerade nicht, die des anderen auszulöschen. sich selbst in seinem eigenen wahrsein und seiner eigenen wahren geschichte zurückzunehmen und - sei es aus falscher höflichkeit, sei es aus überheblichkeit - zu verleugnen, heißt gerade nicht den anderen anzuerkennen. das bedingungslose bekenntnis zu einem anderen ist ein so hohles bekenntnis wie der rassismus selbst. ein hohles bekenntnis kann nur mittels gewalt gehalten werden. ein bekenntnis zur eigenen wahrheit vermag selbst zu stehen, wie ein spiel, das nicht diktiert wird, sich wie von selbst spielt. es macht nämlich spaß. auch gerade weil es nicht einfach ist.

es waren durchaus diese gedanken, durch dich angeregt, die auch mich mein "terminus" sagen ließen, so dass ich mich entschied, augsburg zu verlassen. noch bin ich im zwischenreich. noch habe ich in berlin keine wohnung gefunden. noch hält mich mitunter die diktatur des kindischen in ihren fängen, die eine scheinheilige sicherheit kreieren will, die einem jedes recht zum bekenntnis der eigenen wahrheit abspricht. aber dann kommt das kindliche zurück, das grinsen im gesicht, das was lausbübisches hat, ohne aber nur darauf abzuzielen, den eltern einen streich zu spielen. im bekenntnis der eigenen wahrheit muss man der kindischen diktatur mancher eltern, die einem diese wahrheit absprechen wollen, nicht mehr den rotzigen stinkefinger zeigen. in der etablierung der eigenen wahrheit geht diese diktatur nämlich unter. eine diktatur, die mannigfältig in der form sein konnte, aber einfältig in ihrer art stets ist: sie verleugnet sich und uns. die form kann, wie du sehr genau weißt, physische gewalt sein. ein prügeln und hauen und zertören, als sei man ein stück scheiße, das ein verzweifelter alchimist zu einem haufen gold schlagen will. oder man soll bereits dieser haufen gold sein, eine andere seinsweise widerspräche der diktatur der elterlichen oder familiären erwartungen. jede auflehnung gegen diese diktatur bedeutet, was einem unaufhörlich eingetrichtert wird, dass man sich als ein stück scheiße erweist. es führt unweigerlich dazu, dass man sich selbst nicht mehr riechen kann. so läuft man dann auch vor jedem spiel davon. aus scham. flüchtet sich in irgendein hohles bekenntnis ohne auch nur irgendein einziges gegenüber. wer in gleicher reihe steht, um andere oder ein anderes auszumerzen, ist wahrlich kein gegenüber. hier führen nur billige kopien voneinander eine billige kopie von leben miteinander.

in meinen gedanken aus meinem momentanen zwischenreich, in dem ich mehr denn je echten gegenüber begegne, aber auch kindischen diktatoren der alltäglichen binsenweisheit, spielt also der begriff des bekenntnisses eine große rolle. über die diktatoren zu sprechen, egal in welcher maske sie daher kommen, ist müßig. wie gesagt, ihnen können wir nur unsere wahrheit entgegenstellen. sind sie an einer macht, dann muss es eben die wahrheit der vielen sein, die ihnen entgegen gestellt wird. da wir hier nicht in einer politischen dikatur leben, ist es interessanter, zu sich selbst und den einzelnen gegenüber zurückzukehren, was ja hier in diesem blog unsere grundkonstellation ist: du und ich. freilich wollen wir diese hier stets überschreiten, sonst wäre es unsinnig öffentlich zu schreiben, statt in einer privaten Korrespondenz. So wie ich also in meinem Zwischenreich zwischen Augsburg und Berlin - noch dort, aber auch schon nicht mehr, schon hier, aber doch noch nicht - über den begriff des bekenntnisses nachdenken muss, muss ich auch über zwei seinsweisen nachdenken, die sich mit unseren bisherigen posts verbinden. leider kennt das deutsche - die katholische religion und ihre beichte seien als sonderfall hier ausgeklammert - nur den begriff des bekenntnisses, während das englische zwei wörter dafür hat: commitment und confession. Beispiel: commitment: ich will dich lieben. confession: ich hasse dich. man könnte, um es französischer auszudrücken, sagen: Voltaire und Rousseau. in meinem zwischenreich komme ich zu dem ergebnis, dass das eine ohne das andere nicht geht. commitment-phobics mögen sicherlich in ihrer confession-philen art etwas durchaus komödiantisches haben, sind aber letztlich nervensägen und nur in einer komödie zu ertragen. confession-phobics sind in ihrer commitment-philen art die hohlen bekenner der kindischen diktatur, egal ob es die apokalyptischen griesgrame und pedanten des bioladens sind oder die schreier und schläger ausländerfeindlicher parolen. da beiden, wie gesagt, eine spezifische gewalt eigen ist - bei ersteren die der moralischen endverurteilung, bei letzteren die der moralischen endvollstreckung - hilft dagegen nur, wie gesagt, die aufstellung der eigenen wahrheit. so wirkungslos ist das wort dann doch nicht, wenn es denn durch seine wahrheit geerdet ist und damit ein leben zum ausdruck bringt, das da ist und nicht geleugnet werden kann, auch wenn endverurteilung und endvollstreckung es verleugnen wollen.
lieber beam,
aufgrund dieser gedanken bin ich sehr gespannt auf dein kommendes buch. außerdem muss ich sagen, dass meine erzählungen, an denen ich arbeite, meine wahrheit enthalten. meine früheren texten, die verzweifelt diese wahrheit gesucht haben, sind ihr lediglich entflohen. ich wühlte in der wahrheit von anderen. man kann es nicht verleugnen, es war viel kindisches darin. aber wer trägt das nicht in sich? am meisten die, die es, wie gesagt, verleugnen.

in diesem zusammenhang möchte ich, wie jetzt schon mehrfach angedeutet, zu einer anderen unterscheidung kommen, über die ich in meinem zwischenreich nachdenken muss. als kind spielten wir gerne verstecken. es gab die, die suchten, und die, die sich versteckten. die sucher und die verstecker. wenn wir das signal zum wechsel verpassen oder wenn es ein kindischer diktator (eltern, geschwistern, man selbst) verbietet, dann bleiben wir das ein leben lang. Wir verlieren das kindliche spiel, das gerade im wechsel besteht, in der confession, was man lieber sein möchte und was einem mehr liegt, und im commitment, das spiel so zu spielen, dass gewechselt wird. schauen wir uns die erwachsenen sucher an: sie laufen anderen hinterher. sie exhibitionieren sich selbst, und doch wird ihnen am ende stets vorgeworfen, sie gäben so gar nichts preis, nichts außer heißer luft. dass diese heiße luft von einer versehrung herrührt, soll das exhibitionistische getue schließlich überspielen. sie sind jedenfalls leicht im internet auffindbar. sie mögen sich andere namen geben, aber man erfährt trotzdem ohne große mühe sehr viel über sie, wenn man auch nur ein bisschen in ihren blogs und facebook-seiten liest. man muss kein stalker sein, um sie zu finden. sie selbst sind die stalker, auf der suche nach der verlorenen zeit oder dem verlorenen glück und schlechterdings nach denen, die sie beneiden: nach denen also, die, ohne sich große mühe zu geben, wie es scheint, gesucht werden. die beneiden sie. die sucher beneiden die verstecker. die verstecker verstecken sich. kein telefonbucheintrag. keine interneteintrag. nichts. aber wenn man sie kennt, weiß man sofort alles über sie. sie sind geheimnisvoll - und das ist ihr ganzes geheimnis. sie sind die, die sie sind. sie geben sich keine blöße. sie haben gute positionen inne, hinter denen sie sich verstecken können. sie stehen aber nie in vorderster linie. sie sind kleine joseph fouchés, wie ihn stefan zweig in seinem großartigen buch beschrieben hat. sie ziehen die fäden im hinterhalt und vergessen irgendwann darüber die tatsache, dass sie alles nur machten, um gefunden zu werden, damit man ihre wahrheit mitfindet, nämlich dass es ihnen spaß macht, sich zu verstecken - und gefunden zu werden. in der einseitigen perfektionierung des spiels haben sie vergessen, dass alles nur dazu diente, die eigene wahrheit auszustellen, die da wäre, dass man die eigene wahrheit nicht mit allen teilen möchte, nur mit denen, die in der lage sind, einen zu finden. schließlich sieht man ihnen ihre ganze wahrheit unmittelbar an. wie gesagt, das macht den charm ihres mysteriösen aus. wir wollen nicht glauben, dass da nicht mehr ist - und sehen darüber das viele nicht, das da ist. leider sind die, die sie finden, in der regel solche, die ihnen zufällig über den weg gelaufen sind, die quasi über sie gestolpert sind. keine sucher jedenfalls, denn vor denen wissen sie sich perfekt zu verbergen. tja, pech gehabt. sie halten ihre finder für wahrhaft talentierte sucher, nehmen sie mit in ihr versteck und verstehen nicht, warum die es dort nicht aushalten. wohingegen die sucher, die vergessen haben, dass das spiel beinhaltete, dass gewechselt wird, nicht verstehen, warum die, die sie gefunden haben, sich nicht an einer weiteren suche beteiligen wollen. wen sie fanden, waren nämlich keine vertecker; keine teilnehmer an dem spiel, sondern solche, über die sie stolperten. zufällig. auch hier. leute, die das spiel nicht spielen. die suche darf aber für die sucher keinesfalls enden. das lässt sie letztlich so leer erscheinen. als hätten sie nichts. was ihre eigene tiefste überzeugung ist. deshalb kann ja gewissermaßen alles raus. und mehr ist da nicht. muss ja auch nicht. aber wer sieht das schon? tja, ein dilemma.

hier in meinem zwischenreich sehe ich dieses unglückliche spiel ganz deutlich. wenn dieses zwischenreich zu ende sein wird - was es muss, sonst wäre es kein zwischenreich - werde ich es nicht mehr sehen. zumindest nicht so. ich werde wieder sucher sein, confession-phile und eher commitment-phobic. so wie ich nunmal bin. aber vielleicht bleibt, so meine hoffnung, dennoch - wie es jedes procedere der bewusstmachung intendiert - einiges so bewusst, dass das kindische nicht die oberhand über das kindliche gewinnt. in dem kleinen wörtchen "so" liegt die ganze wahrheit. so ist es und so werden wir es machen. vielleicht wird es dann so sein - oder auch ganz anders. wie soll ich das hier in meinem zwischenreich denn wissen? aber das ist ok so.